Zur Wiederkehr der Eintritt-frei-Debatte
Mit erstaunlicher Regelmäßigkeit lebt in der deutschen Museumsszene die Forderung nach Abschaffung der Eintrittsentgelte wieder auf, obwohl sich die Faktenlage nicht verändert: Jedes dritte deutsche Museum erhebt gar keinen Eintritt; die Kommunen als größte Museumseigentümerinnen-Gruppe sind gesetzlich verpflichtet, Gebühren oder Entgelte für Leistungen, die einzelnen Personen zuzurechnen sind, zu erheben; bei freiem Eintritt steigen die Besuchszahlen zwar an, doch können gleichzeitig die Erlöse aus Pachtbetrieben und Museumsshop-Umsätzen schrumpfen; die Publikumsstruktur verändert sich wenig bis gar nicht; museumsferne Personen tragen beharrlich vor, dass ihnen ein Museumsbesuch teuer vorkommt, selbst wenn er umsonst ist.
Dass dieses Thema zwischen der COVID-Krise und dem gigantischen Schuldenberg der Öffentlichen Hände hochkommt, hat drei handfeste Gründe. Erstens haben Jahrzehnte neoliberaler Politik größere Museen dazu genötigt, immer aufwändigere Projekte zu realisieren, um die erwarteten Besuchszahlen und Refinanzierungsgrade zu erreichen. Mit „once in a lifetime exhibitions“ kannibalisieren einige Museen den Besuch ihrer Dauerausstellungen, obwohl diese dem Existenzgrund des Museums oft näher stehen. Freier Eintritt kaschiert das.
Zweitens resultieren aus der anhaltenden Boomkrise der deutschen Museen sinkende Besuchszahlen und deswegen schrumpfende Eintrittsgeldeinnahmen vieler Einrichtungen. Das lässt sich gut verstecken, wenn den Eigentümern erklärt wird, es sei eine soziale Tat, ganz auf diese Einnahmeart zu verzichten und die Finanzierungslücke aus anderen Budgets zu schließen. Drittens stehen große Museen vor besonderen Herausforderungen, weil durch die Pandemie der internationale Kulturtourismus und der überregionale Ausstellungstourismus (samt der reisenden Exponate) weggebrochen sind; außerdem wirken sich die durch Hygienemaßnamen limitierten Besuchsmengen negativ aus.
Museumsleitungen müssen um gute Konditionen für das eigene Haus kämpfen, ein Schulterschluss mit anderen Betroffenen ist solidarisch. Den freien Eintritt als Wohltat für Einkommensschwache und vielerlei Museumsabstinente zu deklarieren, ist unbegründet und blanke PR. Ein freier Eintritt ist bereits entschieden: Obwohl spektakuläre Neubauten auch mit Eintrittsentgelten in der Anfangszeit hohe Besuchszahlen erzielen, erhielt das Humboldt-Forum schon 2019 drei eintrittsfreie Anfangsjahre bewilligt. Als Steuerzahler frage ich mich angesichts von Milliarden neuer Staatsschulden, warum die Bundespolitik diesen freiwilligen Verzicht noch nicht revidiert hat; es geht um einen zweistelligen Millionenbetrag aus den Taschen von Architektur- und Designfans, von Sensationshungrigen und (zumeist gut situierten) habituellen Museumsgästen.
Dem derzeitigen Diskussionsstand fehlt das Verständnis für jene Kolleginnen und Kollegen, die unter einer Eintritt-frei-Politik zu leiden hätten, denn etliche Körperschaften können ihr Museum nur betreiben, wenn es sich teilweise aus Eintrittseinnahmen refinanziert; jede verregnete Saison (oder Pandemie) treibt sie der Insolvenz entgegen. Die erwähnte neoliberale Politik hat etliche öffentlich-rechtliche Sammlungen und museale Themen mit regionaler bis nationaler Bedeutung in derartige unterfinanzierte Strukturen verschoben. Andererseits existieren viele Museen nur auf der Basis von Zeitspendenarbeit; wenn hier auch das Geld für die Betriebs- und Sachkosten fehlt, hängt die Fortexistenz ebenfalls am Eintrittsentgelt.
In einer Zeit voller katastrophaler Nachrichten könnte man sich an und mit manchen Museen kleinen bis mittleren Ausmaßes freuen, die – kostenpflichtig oder eintrittsfrei – durch Tagesausflugsgäste und den innerdeutschen Tourismus das Krisenjahr 2020 verkraften werden. Ferner wäre es nützlich, mehr als bisher über schon geschehene oder bevorstehende Insolvenzen von Museumseigentümerinnen zu erfahren. Stattdessen nutzen Museen, die wegen der Gesamtdeckung öffentlicher Haushalte keine Existenzsorgen haben, den letzten Moment vor den erwartbar dramatischen Kürzungen der nächsten Haushaltspläne dazu, ihr eigenes Kuchenstück über das Modell „Eintritt frei plus Kompensation aus anderen Mitteln“ zu vergrößern.
Markus Walz