Jahrzehnte lang haben sich die deutschen Museen mit der Fußball-Bundesliga verglichen, seit COVID-19 heißt die Messlatte Baumarkt. Damit wechselte der Herzenswunsch von steigenden Besuchszahlen zum neuen Sankt-Florians-Prinzip („Lieber Sankt Florian, steck’ niemand in unserem Haus, steck’ andere an!“). Die Argumente sind sattsam bekannt – es wären keine Infektionsketten aus Museen nachgewiesen, die meisten Infektionsketten sind allerdings unbekannt.
Da die Pandemiezustände anhalten werden, ist es Zeit für einen reflektierten Kurswechsel. Die Regierungen des Bundes und der Länder scheuen aus wirtschaftspolitischen Gründen davor zurück, strikte Reise- und Ausgangsbeschränkungen zu verhängen: Es gibt eindringliche Empfehlungen, kaum Verbote; die Gastgewerbe sind die Schlachtopfer für den erhofften Erhalt des Einzelhandels. Wie die Baumärkte öffnen zu wollen, passt in dieses Szenario definitiv nicht.
Zweifellos gibt es etliche Museen, die ohne Einnahmen aus laufendem Betrieb vom Untergang bedroht sind; wenig erwähnt wurden Personen, deren prekäre Honorarverträge in der Vermittlungsarbeit nichts mehr einbringen. Welche Zukunft diese Handlungsfelder haben, ist eine drängende Frage. Die Fortexistenz öffentlich-rechtlicher Museen steht aber nicht zur Diskussion, sodass sie ihren Beitrag zum Leben in der Krise leisten könnten.
Priorität hat nicht die Öffnung all dessen, wo noch keine Infektionsfälle nachgewiesen wurden, sondern die Reduktion der Infektionsrisiken. Ein Strategievorschlag möchte Speiserestaurants mit hervorragenden Hygienekonzepten öffnen, damit diese wieder wirtschaften können und zugleich unkontrollierbare Zusammenkünfte mit fragwürdigem Präventionsbemühen in Privatwohnungen abnehmen, gerade auch in der Hochsaison von Advent und Weihnachten. Eine gesamtgesellschaftlich nützliche Idee, die Museen perfekt nachgestalten können! Museen müssen keine gebremsten Menschenansammlungen neben Baumarkt und Drogeriemarkt sein, sie bieten auch für einzelne Haushalte (und, je nach Vorschrift, eine zusätzliche Person) Inspirationen gegen Winterblues, Einsamkeitsdepression und Home-Schooling-Stress, zugleich neuen Gesprächsstoff und Einblicke in unerreichbare fremde Welten.
Verantwortung bedeutet auch, kritisch auf die baulich-technischen Möglichkeiten und den Gesundheitserhalt aller Museumsbeschäftigten zu schauen. Viele Museen, deren Öffnung pauschal gefordert wird, bergen Risiken durch verwinkelte, enge Räume, Begegnungsverkehr auf engen Treppen, fragwürdige Lüftungskapazitäten. Geöffnete Museen gefährden zudem Exponate, die Stoßlüftung oder erhöhte Luftwechselraten nicht verkraften.
Statt eine sozial verträglichere Form von „Querdenken“ in die Massenmedien zu tragen, ist die konstruktive Harmonisierung von Infektionsvermeidung und dosierten Museumsbesuchen gefragt – eine besondere Chance für Museen, die vermutlich keine Publikumsanstürme von nah und fern auslösen. Der gesunde Menschenverstand sagt, welche von diesen Museen sich guten Gewissens eine zeitnahe Wiedereröffnung wünschen können: Museen
- mit von außen gut einzusehendem Eingangsbereich und separatem Ausgang,
- mit fehlerlosem Rundgang in den Ausstellungen ohne Gegenverkehr,
- mit klarer Wegestruktur, sodass allen Gästen die Orientierung leicht fällt,
- mit weitgehendem Einblick in den jeweils folgenden Raum,
- ohne gefangene oder verwinkelte Räume,
- ggf. mit getrenntem Auf- und Abgang oder Treppen mit mehr als 2,50 m lichter Weite,
- ohne interaktive Elemente oder spektakuläre, international bekannte Exponate, die lange Verweildauern erwarten lassen,
- ohne Exponate, die unter einem kompromisslos an der Infektionsvermeidung ausgerichteten Lüftungskonzept leiden würden,
- mit sehr kurzem Begegnungsverkehr und mit leistungsstarken Lüftungsanlagen in den Sanitärräumen.
Nur eine begrenzte Menge Museen kann sich derart anbieten, wenn die ersten Lockerungsmaßnahmen erwogen werden. Die anderen haben Entwicklungsmöglichkeiten bei digitalen Angeboten, die nicht als Notmaßnahme daherkommen, sondern als langfristig sinnvolle, museumsspezifische Leistungen. Für einige Museen mag „eine Stunde allein (oder zu zweit?) im Museum“ mit Voranmeldung eine Lösung sein – auch ältere Menschen sind jetzt an Doodle-Listen für Gottesdienste gewöhnt. Weil Sozialkontakte wertvoller sind als je zuvor, steckt darin künftig die Chance, mit einem zufällig eingebuchten, fremden Museumsgast nicht über Inzidenzzahlen, sondern über Natur, Kunst oder Kultur ins Gespräch zu kommen.