Corona: Folgen und Perspektiven für die Kunst, Kultur und Wissenschaften

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Stellungnahme zur Bundestagswahl 2021 von Beate Reifenscheid, Präsidentin ICOM Deutschland

In wenigen Tagen wird Deutschland eine neue Bundesregierung wählen. Dies wird sich als wichtiger für die Zukunft erweisen, als dies heute vorstellbar erscheint. Es geht nicht nur um das Ende der Ära von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sechszehn Jahre Stabilität in vielen Bereichen bedeutet hat, sondern auch darum, welche zukünftige Regierung kluge Weichen stellt, damit ein gemeinsames Überleben, ein gutes Miteinander und ein rücksichtsvolles Bewahren unseres Planeten realisierbar sind.

Sicher, viele Parteien haben den Klimaschutz in ihr Wahlprogramm aufgenommen. Das geht auch gar nicht anders, wenn man sieht, wie in Australien 2020 fast ein Drittel des Kontinents in Flammen stand, wenn weite Teile Amerikas regelmäßig von dramatischen Wintereinbrüchen, Überschwemmungen oder Feuersbrünsten zerstört werden, oder selbst im scheinbar so sicheren Deutschland eine Flutwalze ganze Landstriche in den Abgrund gerissen, Kulturgüter zerstört und zahllose Menschenleben gekostet hat. Der Streit um Kohle, Kernenergie, Gaspipelines – verknüpft mit der Suche nach sinnvollen Alternativen – geht in eine neue Runde. Man fragt sich dennoch mitunter, wieviel Zeit noch vergehen soll, bis wirksame Lösungen umgesetzt werden und es dafür angesichts der dringenden Erfordernisse einen Konsens durch alle Parteien geben wird.

Die Corona-Pandemie hat die Krisenherde an vielen Stellen wie im Brennglas zutage gefördert. Neben all den katastrophalen Einbußen in allen Wirtschaftsbereichen, den dramatischen Einschränkungen, die vor allem die alten, hilfsbedürftigen Mitbürger*innen trafen, sind es die Kinder und Jugendlichen, die an Isolation, an Diskontinuität im Schulunterricht und an mangelnden Ausbildungsplätzen gelitten haben. Ein fataler Fehler hier nicht achtsam mit der Zukunftsgeneration umzugehen.

Ebenso dramatisch sieht es im Kultursektor aus. Die Monate des Lockdowns sind gravierend gewesen für alle Kulturschaffenden und die Museumswelt. Die Auswirkungen werden noch Jahre spürbar sein und haben bereits jetzt viele Bereiche innerhalb des Museumswesens tiefgreifend verändert. Sicherlich, es gab zahlreiche Unterstützungsangebote, wozu insbesondere die Neustart-Programme der BKM zählten, die zunächst digitale Formate, dann aber auch gezielt Künstler*innen und Galerien unterstützten. In die Breite gedacht war dies bei über 6.000 Museen allein in Deutschland dennoch nur der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein. Oft blieb es für viele Institutionen bei der Devise „help yourself“. Hier fehlt immer noch die breite politische Unterstützung, um auch Kommunen die dauerhafte finanzielle Ausstattung ihrer Kultureinrichtungen zu ermöglichen. Unter dem Stichwort „freiwillige Leistungen“ werden sicherlich weitere Kürzungen ohne große Rechtfertigungen erfolgen.

Die Künstlerin Hito Steyerl hat vergangene Woche der Verleihung des ihr zugedachten Bundesverdienstkreuzes eine unmissverständliche Absage erteilt. In einem offenen Brief an Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier hat sie kritisiert: "In den letzten 18 Monaten hat sich erwiesen, dass die Bereiche Bildung und Kultur in der Krise am wenigsten zählen." Kultur und Kunst jedoch haben auch in der Krise gezeigt, wie sinnstiftend und einend sie für das gesellschaftliche Selbstverständnis sind. Um das zu erhalten, bedarf es mehr als finanzielle Ressourcen.

Für die Museen wird es in der nächsten Legislaturperiode darum gehen, wie Kultur und Bildung insgesamt verankert werden und wie ehrlich das Bekenntnis zur wertvollen Museumslandschaft in Deutschland gemeint und umgesetzt wird. Je weniger Kultur allen zugänglich ist oder je weniger sie in der Fläche gesellschaftlich sowie finanziell unterstützt wird, eben weil sie „Nahrungsmittel“ ist, desto mehr wird auch das Einfalltor für rechtsextreme Ideologien geöffnet. Das hat nicht nur die Vergangenheit gezeigt.

ICOM Deutschland steht für einen offenen Dialog mit allen Kulturen ein und lebt durch und mit seinem großen internationalen Netzwerk. Wir werden es begrüßen, wenn Kultur nicht zum faden Lippenbekenntnis einer uninspirierten Regierung gerät. Die Kunst und damit die Kultur insgesamt ist seit Friedrich Schiller bekanntermaßen eine Tochter der Freiheit. Freiheit ohne Demokratie ist nicht denkbar. Beide erfordern intensive Beziehungsarbeit sowie das Bekenntnis und das Handeln, diese zu ermöglichen. Ich rege an, die Wahlprogramme intensiv zu lesen und den Stellenwert der Kultur- und Bildungspolitik nachhaltig zu fordern. ICOM Deutschland steht hier für eine Haltung, wie sie auch der Kulturrat und der Kunstrat vertreten.

Ihre Beate Reifenscheid

Pressemitteilung (PDF)

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