ICOM Deutschland steht für den Dialog und die Kommunikation, insbesondere grenzüberschreitend und uneingeschränkt.
Es erfüllt uns mit Sorgen, tagtäglich durch die Medien, aber auch im intensiven, direkten Austausch mit Museumskolleg*innen aus vielen betroffenen Ländern erfahren zu müssen, dass die Lebens- und Arbeitsbedingungen dort zunehmend politisch überschattet sind. Kollegiales Miteinander ist für uns alle essenziell und ICOM Deutschland ist sehr daran gelegen, den Dialog über alle politischen, gesellschaftlichen und religiösen Grenzen hinaus vertrauens- und respektvoll führen zu können. Gerade deshalb sind uns die Informationen, Nachrichten und persönlichen Schilderungen besonders wertvoll und sie ermahnen uns, alles erdenklich zu tun, um in diesen schwierigen Zeiten auf wissenschaftlicher, ideeller und praktischer Ebene, zu unterstützen. In den vergangenen Monaten intensivieren sich die Hinweise, dass zahlreiche Kolleg*innen von massiven Repressalien, von Arbeitsverboten, Entlassungen, Schließungen von Museen, aber auch von finanziellen Nöten sowie dem Entzug von Pässen und damit verbundenen Ausreiseverboten betroffen sind. Manchen von ihnen gelang noch rechtzeitig ein einziger Ausweg: das Exil. Gewollt war und ist das von keinem von ihnen, denn dies geht immer einher mit dem Verlust von Heimat, sozialen Bindungen und meistens auch von beruflicher Praxis. Neben den Repressionen und Einschränkungen im zivilen Alltag, sehen wir insbesondere die Kultur und mit ihr die Museen massiv in ihrer Handlungsfreiheit bedroht. Die politisch und diplomatisch sich zuspitzende Situation im Grenzgebiet zur Ukraine, das von russischen Panzern und Soldaten bedroht wird, ist keine Basis für ein friedliches Miteinander in Europa und der Welt: Invasion und Krieg würden unwiederbringlich Kultur und Museen, somit das kulturelle Erbe ganzer Regionen, zerstören und großes Leid über die Zivilgesellschaften bringen.
Die Eskalation von Repressalien und die Drohkulisse durch das Militäraufgebot am Grenzverlauf befeuern die Angst und lassen keinen Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Vorgehens seitens Russlands aufkommen. Die Gefahr einer Annexion der Ukraine, vergleichbar mit der Einnahme der Krim wie sie 2014 geschah, besteht. Damals passierte dies über Nacht und vor den Augen eines offenbar ohnmächtigen Europas. Aber Europa ist nicht ohnmächtig und weder sprach- noch tatenlos.
Als demokratische Staaten verkörpern wir ein anderes, freieres Weltbild, das geprägt und getragen ist von humanistischen Werten und dem Bewusstsein, dass langfristig nur im respektvollen und offenen Umgang miteinander gesellschaftlicher Zusammenhalt gelingen kann. Nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs ist dieses Grundverständnis unsere Basis und erst recht seit dem Fall der innerdeutschen Mauer im Herbst 1989. Im Zuge der Glasnost-Bewegung fiel damals fast zeitgleich der Eiserne Vorhang, der die ehemaligen Ostblockstaaten abschottete und ermöglichte mit einem Mal die Öffnung von Staatsgrenzen. Seit damals bereichert es die Menschen in der Europäischen Union, Zusammenhalt erleben zu können. Diese Offenheit des Austauschs, des Gemeinwohls, des Handels, der Kulturen, Religionen und Weltanschauungen ist die Stärke Europas.
Bedrohung, Einschüchterung, militärisches Aufrüsten, Cyberangriffe und Sanktionen auf bilateraler Ebene täuschen nicht darüber hinweg, dass keine dieser Maßnahmen langfristig Frieden sichert.
Gemeinsam mit vielen anderen Nationalkomitees von ICOM rufen wir alle auf, diese Solidargemeinschaft zu schützen und sich für die freie Autonomie der Ukraine einzusetzen. Wir rufen alle politisch Verantwortlichen auf, ein friedliches Europa zu sichern und militärische Auseinandersetzungen abzuwenden, indem verstärkt alle rechtlichen, diplomatischen und kulturellen Mittel eingesetzt werden, um mit Russland eine friedliche, kooperative und langfristige Deeskalation und konstruktive Zusammenarbeit zu erreichen.
Ihre Beate Reifenscheid